Meditationen

Ästhetik des Fußballspiels. - Die Aufgabe des Schiedsrichters ist es, die Grammatik des Fußballspiels zu gewährleisten (wer das Reglement versteht, der spricht die Sprache des Spiels, der redet überhaupt mit, ja, der hat, je versierter er (mit-)spielt, ein Wörtchen mitzureden, unabhängig davon, ob er die Muttersprache seiner Vereinskameraden spricht oder nicht). Außergewöhnlich begabte Spieler gehen, in unvergesslichen Augenblicken des Wunderbaren, bis an die Grenzen des Spielbaren, dass heißt, sie hinterlassen außerordentlich schöne, poetische Spuren (Signaturen) im ansonsten prosaischen Textgewebe des Fußballspiels. Das Faszinierende am Fußballspiel ist nicht die Regel, es sind die unerwarteten Augenblicke des erwartbaren Wunderbaren darin, die sich (nicht ohne Mitsprache, der Stimme, dem Schrei des Kommentators) in die Netzhaut des fußballbegeisterten Zuschauers einbrennen und hierdurch unvergesslich bleiben.

Aufzeichnungen. Copyright © 2025 Bülent Kacan

Lebenswelten und Sprache. - Eine Bruderschaft der Konnotationen pflegen. Nicht dadurch, w i e jemand etwas sagt, sondern w a s er damit meint, sobald er etwas (wie auch immer) sagt, ist ausschlaggebend für ein tieferes zwischenmenschliches Verständnis, für eine tiefere zwischenmenschliche Verständigung. Widerfährt zwei Freunden auf ihrer Wanderschaft in den Bergen ein Unglück, ein Felssturz beispielsweise, den beide glücklicherweise überstehen, indem sie der Naturkatastrophe im letzten Moment ausweichen (sie haben Glück im Unglück), so werden sich die beiden Wanderer künftig Weggefährten nennen dürfen, durchaus in einem spirituellen Sinn. Erinnerungen der beiden an die Gefahr, die sie überstanden haben, weckt in beiden identische Bilder, Konnotationen und Emotionen. Das Glück, das die beiden Freunde im Unglück hatten, war, rückblickend betrachtet, das Unglück selbst, dass heißt, der Felssturz, vielmehr noch ihre Erfahrung, dass sie die Naturkatastrophe überstanden haben, hat sie im spirituellen Sinne zusammenschweißen lassen (sie tragen, was das Wesentliche einer wahren Freundschaft ist, Verantwortung füreinander).

Aufzeichnungen. Copyright © 2025 Bülent Kacan

Wahrheit und Kontextabhängigkeit. - Wenn wir mit einer Aussage, was einen bestimmten Sachverhalt betrifft, daneben liegen, so nehmen wir an, dass sich eine Wahrheit an einem fixen Ort befindet, von der unsere Aussage - die wir getroffen haben, die allerdings, wie wir feststellen müssen, fehlgeht - mehr oder weniger abweicht. Tatsächlich ist die Wahrheit flexibel wie ein Gummiball, der auf und abspringt und mal hier ist und mal dort zu finden ist, wobei er seine Gestalt beibehält, er taucht lediglich in unterschiedlichen Kontexten auf, in denen er auf unterschiedliche Weise gehandhabt wird. So wird ein Fußballspieler mit einem Tennisball, den ihm der Trainer während des Trainings zuspielt, anders umgehen als ein Golfspieler oder ein Handballspieler, er wird versucht sein, ihn mit seinen Füßen zu jonglieren (der Gummiball ist, bei näherem Hinsehen, ein gleichermaßen fester, wie flexibler Knäuel ineinander verwickelter Fäden, die wir entwirren müssten, wenn wir verstehen wollten, was ihn, dass heißt den Sachverhalt, zu einer Wahrheit macht). Nicht die Wahrheit ist relativ, es sind die unterschiedlichen Kontexte, in denen sie sich bewegt und in denen sie auf unterschiedliche Weise gehandhabt wird, die unterschiedliche Relationen mit ihr eingehen. Möchten wir also eine wahre Aussage über einen bestimmten Sachverhalt treffen, so kommt es darauf an, unsere Aussage so zu formulieren, dass ihre Elemente, aus denen sie sich zusammensetzt, den Sachverhalt rundherum erfassen (ganz so wie ein Tennisspieler, der einen Tennisball erfasst, sobald er zum Aufschlag ansetzt, wobei jeder einzelne seiner fünf Finger seiner linken Hand eine spezifische Funktion ausübt; erst alle Finger zusammen (genommen) begreifen den Ball, die menschliche Hand ist der Inbegriff der Kooperation; die erste Kooperation ist jene zwischen Mutter und Kind, ist der Griff des Neugeborenen nach der Hand, nach der Brust seiner Mutter), unabhängig davon, in welchem Kontext wir uns bewegen. Ideologien mit absoluten Wahrheitsansprüchen bilden einen gewaltigen (gewalttätigen) Kontext aus Parteigängern, Anhängern und Mitläufern, der weder internen Widerspruch toleriert, noch externe Einsprüche (Einwände) akzeptiert. Wer nicht willens ist, aus dem Kontext, aus dem heraus er die Welt so und nicht anders deutet, (vorerst und vorübergehend, d.h. vergleichsweise) auszusteigen, dem entgeht ein Großteil eben dieser Welt. Kontexte, die nicht irgendeine, sondern i h r e Wahrheit absolut setzen, bilden ein leibhaftiges Spalier aus Parteigängern, Anhängern und Mitläufern, die für Zugänge offen sind, während sie für Abgänge verschlossen bleiben (die Verschlossenheit zur Abgeschlossenheit).

Aufzeichnungen. Copyright © 2025 Bülent Kacan

Spielregeln und Raumtiefe. - Sobald die Handlungsspielräume enger werden, nimmt, insofern die Spielregeln den Umständen nicht angepasst wurden, auch das Risiko der Akteure zu, Regelbrüche in Kauf zu nehmen. Fußballspieler, die es gewohnt sind, mit 22 Mann auf einem Spielfeld von 50 * 100 Metern zu spielen, werden bei gleicher Anzahl an Feldspielern, auf einem Spielfeld von 20 * 40 Metern deutlich häufiger zum Foul ansetzen oder ausholen (müssen). Fairness geht immer auch einher mit der Übereinstimmung zwischen der Tiefe des Raumes, die den Akteuren geboten wird und in denen sie sich verwirklichen können sowie den Spielregeln, die diese, ihre Handlungsabläufe, darin ermöglichen (und gewährleisten). Der Schiedsrichter würde sich überflüssig machen, wenn jeder einzelne Fußballspieler sämtliche vorhandenen Spielregeln verinnerlichen und einhalten würde, allerdings wäre das Spiel mangels Regelbruchs dann kein Spiel mehr, sondern ein lebloser Mechanismus. Einkalkulierte Fouls sind integraler Bestandteil des Spiels, im Großen, wie im Kleinen. Wer übertreibt, der fliegt vom Platz, im Großen, wie im Kleinen. Wer die Spielregeln bestimmt, der herrscht über den Platz, im Großen, wie im Kleinen.

Aufzeichnungen. Copyright © 2025 Bülent Kacan

Sehvermögen und Wegstrecken. - Die Sehkraft deines geistigen Auges gibt Aufschluss über die Offenheit deines Horizonts. Deine äußeren Augen ebnen dir deinen äußeren Weg, dein inneres bestimmt deinen inneren Weg, es beeinflusst aber auch deinen äußeren. Bringst du beide Wege in Übereinstimmung, so gerätst du nicht auf Abwege, so bist und bleibst du auf dem richtigen Weg. In Wahrheit gibt es keine dunklen Zeiten. Es gibt Zeiten, in denen das geistige Auge des Menschen verschlossen ist und seine äußeren trotz des Lichtes, das sie umgibt, den rechten Weg verfehlen.

Aufzeichnungen. Copyright © 2024 Bülent Kacan

Verständnis und Verständigung. - Die mächtigsten Pfeiler diesseits des Flusses führen ins Leere, wenn jenseits davon der Brückenschlag verweigert wird.

Aufzeichnungen. Copyright © 2025 Bülent Kacan

Mitgerissen werden. - Auf den entscheidenden Abschnitten ihres Weges - es handelt sich um Übergänge, die eine neue Phase ihres Wachstums in alle nur denkbaren, aber auch undenkbaren Himmelsrichtungen ankündigen - nehmen die Weisen die Form von Rädern an, die über vier zappelnde Speichen verfügen, wobei sie vor nichts und niemandem Halt machen; einmal in Fahrt gekommen, rollen die jubelnden Räder auf und davon. Wer ihnen unterwegs in die Quere kommt, der wird nicht etwa überrollt, was den Davonrollenden angesichts der überaus schmalen, rasiermesserscharfen Wegstrecken durchaus zuzutrauen wäre, der wird von ihrem überschwänglichen Elan vielmehr erfasst und mitgerissen; der Ergriffene purzelt aus freien Stücken mit den Weisen mit, nimmt während seines überstürzten Rollvorgangs die Form eines halbwegs ansehnlichen Rades an und rollt, sichtlich erfreut über die außerordentlich hohe Reisegeschwindigkeit, eine geraume Zeit jauchzend hinter den Weisen her. Die Aufholjagd endet abrupt, sobald das Verfolgerrad aus unerklärlichen Gründen von der Hauptroute abweicht, die eigene Spur wiederfindet, seine ursprüngliche Gestalt annimmt und glücklich und zufrieden, in gewisser Weise verwandelt seines Weges geht.

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Ungewissheit und Zeitumstände. - Die Ungewissheit der Zeitumstände macht, dass nicht wenige Menschen den Fortschrittsoptimisten ihre Gefolgschaft aufkündigen, während sie zunehmend den Fortschrittspessimisten folgen, die die Uhr anhalten, die Zeit zurückdrehen und eine geschlossene Gesellschaft errichten wollen. Wer über die gegenwärtigen Umstände der Zeit bestimmt, wer sie maßgeblich beeinflusst, der beherrscht auch den Raum, in dem sie sich so und nicht anders ereignen (werden). Die Bestimmung oder Beeinflussung der gesellschaftlichen (Denk-, Sprach- und Handlungs-)Räume hin zu ihrer massiven Beeinträchtigung sind die entscheidenden machtpolitischen Stellschrauben, die räumliche Abgrenzungen nach sich ziehen (werden), sie sind Ausdruck nicht progressiv, sondern regressiv ausgerichteter Zeitumstände.

Aufzeichnungen. Copyright © 2025 Bülent Kacan


Kurze Meditation über Raum und Zeit. - Der Tag hat 24 Stunden, ganze 7 Tage die Woche, 365 Tage im Jahr, ein Menschenleben lang, so weit, so gut, könnte man meinen und doch dehnt sich jeder einzelne Augenblick, den du bewusst wahrnimmst, aus, zieht er sich horizontal in die Länge, sinkt er auch geradwegs in die Tiefe, dauert der Moment weit mehr als ein Sekundenbruchteil an, überdauert er das gewöhnliche Maß eines einzigen Momentums, gehen die Augenblicke nahtlos ineinander über, sprengst du, auch in dem Bewusstsein, dass das Leben insgesamt ein einziger, nicht enden wollender Augenblick ist, zuletzt den äußeren zeitlichen Rahmen – dein inneres Uhrwerk, es läuft im Zuge deiner Versenkung langsamer, es läuft losgelöst von der Schwerkraft deines Seins, auch wenn es nicht am Schnürchen läuft, lass es laufen, lass es zu! Finde im Augenblick ein kleines Fenster hin zur Ewigkeit, öffne es und siehe, blicke hindurch! Raum in Raum, Zeit in Zeit – du selbst, sieh zu!

Aufzeichnungen. Copyright © 2025 Bülent Kacan


Die Gabe. - Sobald die Weisen etwas vergeben, beschenken sie sich selbst; nicht durch die Vergabe, auch nicht durch die Gegengabe, sondern durch das Geschenk, das der Andere ist.

Aufzeichnungen. Copyright © 2024 Bülent Kacan


Weichenstellung und Ereignisse. - Es gibt einen Moment während der Zugfahrt, in dem das vorbeiziehende Nachbargleis für Bruchteile eines Augenblicks stillsteht, nachdem du es mit deinen Augen zurückverfolgt und es gestellt hast, nachdem du es gleichsam eingefroren hast. Es bedarf eines geübten Blickes, willst du die rasch aufeinanderfolgenden Ereignisse, die unentwegt um dich herum geschehen, verstehen; eines Blickes, der in der Lage ist, einem Ereignis in seiner atemberaubenden Geschwindigkeit zu folgen, eines Blickes aber auch, der fähig ist, im richtigen Augenblick von ihm abzulassen und sich in den rückwärtigen Raum zurückfallen zu lassen, um im entscheidenden Moment den Entstehungszusammenhang zu begreifen, aus dem sich das Ereignis in rasanter, in rücksichtsloser Geschwindigkeit so und nicht anders entwickelt hat. Lässt du dich mit den Ereignissen mitreißen, gehst du mit ihnen mit, so gerätst du zusehends ins Hintertreffen, wirst du bald schon das Nachsehen haben. Wer, wenn nicht du selbst, sollte wissen, wohin die Reise geht?

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Bilder und Sprache. - Die Sprache der Bilder verfügt über unterschiedliche Ausdrucksweisen. Handelt es sich um gegenständliche Malerei, so spricht das Bild, sofern es uns anspricht, deutlicher zu uns, nie aber eindeutig, während es im abstrakten Fall eindeutig undeutlich zu uns spricht, es erscheint hierdurch nicht rätselhafter als das konkrete, es bleibt uns bloß oft ein Rätsel, wodurch wir aufgefordert sind, die richtigen Worte zu finden, sowohl für uns als auch untereinander, eher noch untereinander kommen wir darüber ins Gespräch, finden wir die richtigen Worte, indem wir begreifen, dass es unfassbar schön ist, doch damit haben wir schon zu viel des Guten gesagt, also sollten wir es für uns behalten. Betrachter eines ausgesprochen schönen Bildes, die nicht viel Worte zu verlieren haben, verlieren nicht unnötig viele Worte, weil sie sehen, staunen und schweigen; sie behalten es für sich - die Stille ist ihr treuer Wegbegleiter.

Aufzeichnungen. Copyright © 2024 Bülent Kacan



Zwei Seiten der Transzendenz. - Es ist der Ozean, der in dem Wassertropfen, der aus schweren Regenwolken hinabfällt, ein- und aufgeht - der Tropfen kommt ihm bloß entgegen.

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Das Schweigen der guten Zungen gebiert lauter Unwahrheiten. - Kommen die bösen Zungen einmal auf die Wahrheit zu sprechen – und man kann sagen, sie kommen in letzter Zeit recht häufig darauf zu sprechen! – so werfen sie den guten Zungen vor, die Tatsachen zu verdrehen, ja, sie bezichtigen sie geradezu der Lüge. Da die guten Zungen es vorziehen, zu den, wie man sagen muss, unhaltbaren Vorwürfen zu schweigen, wie sie in letzter Zeit überhaupt zu allem schweigen – schließlich ruhen sie ausgesprochen bequem in ihren Rachenhöhlen, außerdem spreche die Wahrheit für sich! - stimmen sie den bösen Zungen damit bei, geben sie ihnen gewissermaßen recht.

Aufzeichnungen. Copyright © 2024 Bülent Kacan